Der Donnerstag (17.9.) war ja aber noch nicht zu Ende. Es gab noch ein paar Gänge und Telefonate zu erledigt. Aber zuerst bin ich erstmal erschöpft nach Hause gefahren, habe mir auf dem Weg noch 2 Stücken Kuchen besorgt und mich dann erstmal an den Küchentisch gesetzt und mir den Haufen Papier angeschaut, den ich schon angesammelt hatte:
- Befund der Biopsie
- Vorläufige OP-Anmeldung
- Verträge mit dem UKE und dem Chefarzt der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie
- Termin-Zettel für den 23./24./30.9.
- Info-Broschüre des Case-Managements des UKE (früher sagte man Patienten-Aufnahme)
- Abschlußbericht der Haut-Klinik (für die war der Fall erledigt)
Eine gute Gelegenheit mir nochmal bewusst zu machen, dass es eben doch kein Traum ist, sondern üble Realität. Ich werde am 30.9. auf dem OP-Tisch einschlafen und wenn ich wieder aufwache, wird mir ein ganzes Stück der Zunge fehlen, ich gehe inzwischen davon aus, dass bestimmt 1/3 der Zunge weg sein wird. Was für ein mieser Gedanke!
Nach den beiden Stücken Kuchen und einer Tasse Kaffee habe ich dann nochmal in Ruhe meine Mutter angerufen, um das weitere Prozedere mit ihr zu besprechen, sie wird am 30.9. auch nach Hamburg kommen und mich dann mit Tobi nach der OP besuchen. Sie ist erstaunlich gefasst, aber wahrscheinlich reisst sie sich nur zusammen, um mir nicht das Gefühl zu geben, dass ich sie damit jetzt überfordere.
Dann auf das Sofa, noch mal mit Tobi sprechen, und mit ganz viel Trost lege ich mich eine Stunde hin, denn ich bin wirklich total erschöpft.
Danach gehts wieder zum Ärzte-Hopping: Zuerst zu meiner Hautärztin, die das Ganze ja ins Rollen gebracht hatte, weil sie sich mit der Krankheit überfordert fühlte. Was für ein Glück! Sie hätte ja auch selber weiter herumdoktern können und dann wären wertvolle Wochen und Monate verloren gegangen. In der Praxis begegne ich ihr auf meinem Weg zum Wartezimmer, sie erkennt mich und sagt erschrocken: „Ich habe eben einen Anruf aus dem UKE bekommen, das ist ja furchtbar, wir sprechen gleich.“ 10 Min. sitze ich im Wartezimmer und erlebe wie ein anderer Patient sich echauffiert, dass er nach seinem Gefühl nicht aufmerksam genug beachtet wird. Er blafft die Sprechstundenhilfe an und erklärt ihr, dass auf der Meta-Ebene der Kommunikation etwas nicht stimmen würde. Es ist eigentlich wirklich zum Lachen, wenn mir nicht grad nur zum Weinen zumute wäre. Die Ärztin kann nicht viel machen, sie empfiehlt mir eine Psycho-Onkologin, die auch eine gute Krisen-Intervention macht. Falls ich mit der Situation nicht klarkomme. Ansonsten stellt sie nur noch Überweisungen für die weiteren Untersuchungen, eine Krankschreibung und die obligatorische Einweisung in das Krankenhaus aus. Ich merke, dass sie sich wirklich Mühe gibt, mir die Angst etwas zu nehmen, aber sie kann nicht wirklich viel machen. Das kann gerade wohl keiner.
Nächste Station ist mein Hausarzt, der als Onkologe natürlich in diesem Falle prädestiniert ist mich weiter zu betreuen. Auch er kann mich nur trösten und beruhigen – nach 10 Jahren Patient-Arzt-Verhältnis vertraue ich seinen Worten ziemlich. Er erklärt mir, dass ein Platten-Epithel-Karzinom nicht besonders schnell wächst und auch nicht zum Streuen neigt. Es sei gut behandelbar und die Heilungsaussichten sind recht gut. Natürlich kann auch er nicht sagen: Herr Kühn, das kommt 100% wieder in Ordnung. Auch wenn ich das gerne endlich mal hören würde! Aber immerhin wird er die Chemo bei mir machen, wenn das UKE meint, es sei sinnvoll (das ist wahrscheinlich). In jedem Falle bin ich bei ihm in guten Händen, was die Betreuung nach der OP betrifft, fachlich wie auch menschlich. Für den akuten Stimmungsnotfall bekomme ich eine kleine Dosis Tavor mit, damit ich nicht in eine tiefe Angst und Panik falle. Ich soll es nur nehmen, wenn es grad gar nicht weitergeht. Ich versprechs.
So, die administrativen Dinge sind alle erledigt. Ich fahre nach Hause und telefoniere nochmal in Ruhe mit meinem Mann und fahre dann zu Anna & Martina.
Anna ist um 20:30 Uhr gerade zu Hause angekommen, Martina bringt gerade meinen Patensohn Carl ins Bett. Schade, ich hätte ihn gerne noch gesehen, aber halb Neun ist wirklich spät für einen 2 1/2jährigen. Nach einigen Verstimmungen in den letzten 6 Monaten bin ich schon ziemlich ängstlich, wie der Empfang sein wird, aber wir lassen dieses Thema außen vor und die Beiden hören sich meine Geschichte an. Anna liest den Befund und erklärt mir die Details:
- Mäßig differenziert: Das bedeutet dass der Tumor nicht 100% abgeschlossen ist, aber auch nicht wild streuend ist, wahrscheinlich kann man einfach nichts genaues sagen.
- perineurales Wachstum: Der Krebs liegt um einen Nerv. Das erklärt auch die extrem heftigen Schmerzen, die ich teilweise habe. Jetzt weiss ich, was der Ausdruck Krebs-Schmerzen bedeutet, auch wenn es bei mir sicherlich noch nicht so schlimm ist.
Und auch die OP-Anmeldung erklärt sie mir:
- Neck-Dissection: Die Lymphknoten im Halsbereich werden entfernt, laut Aussage der Chirurgen aber nur Einer, der direkt am Kiefergelenk sitzt (der Sentinel)
- Tracheotomie: Wenn eine Narkose über einen Tubus durch die Nase nicht geht (weil der Tubus das Operationsfeld einengt), dann wird durch einen Luftröhrenschnitt intubiert.
Wir sprechen noch über viele andere medizinische Aspekte, Anna und Martina erklären mir die Abläufe im UKE und beantworten ganz viele triviale Fragen, die mir durch den Kopf gehen. Zwischendurch sprechen wir über Angst und über Körpergefühl, das nach einer solchen OP ein anderes sein wird. Nachts um halb zwölf breche ich auf, nachdem Tobi schon besorgt angerufen hat, ob es mir denn gutgeht. Zuhause nehme ich eine Schlaftablette und lasse mich noch ein halbe Stunde von Tobi trösten und weiss, dass er mir uneingeschränkt beisteht und mich unterstützen wird. Mit diesem Gefühl geht mein erster Tag mit Krebs zu Ende.